Informationen zur ESA Astronautenauswahl 2021

Information regarding the ESA Astronaut Selection 2021

© Prof. Dr. Ulrich Walter
D-2 Astronaut

Lehrstuhl für Raumfahrttechnik
Technische Universität München

1. April 2021

Diese Institutsseite gibt Information zum ESA Astronauten-Auswahlprozess 2021/2022, die für Bewerber wichtig und interessant sind.

Die Grundlage dieser Information ist die ESA Webseite Fragen zur Astronautenauswahl und der ESA Astronaut Selection 2021 Media Kit, Fachveröffentlichungen und eigene Erfahrungen in der Astronautenauswahl.

Die ESA sucht diesmal 4-6 neue Berufsastronauten

  • Einsatzbereiche
    Es ist mit Einsätzen zur Internationalen Raumstation und zum Mond zu rechnen

U. Walter:
Mit Missionen zur ISS ist wie bisher mit einem ESA-Astronauten pro Jahr zu rechnen, zum Mond (1 US-Flug alle 2 Jahre. Nicht nur Mondlandungen, sondern auch zur Orbitalstation Lunar Gateway) hingegen nur mit nur 1 ESA-Astronauten etwa alle 6 Jahre.
Der neue amerikanische Präsident Joe Biden hat verlautbaren lassen, dass er die Internationale Raumstation möglicherweise über 2028 hinaus betreiben will und die Explorations-Missionen (Artemis-Missionen zum Mond und später (in den 2030er Jahren) zum Mars) von Trump fortführen will.

  • Generelle Qualitäten von Astronauten
    ESA: Astronautenkandidaten sollten über ausgezeichnete Feinmotorik, ausgeprägte Analyse- und Berichtsfähigkeiten, die Fähigkeit, komplexe Informationen schnell zu simulieren und zu synthetisieren, sowie fundierte Entscheidungsfähigkeiten verfügen. Sie müssen während Ihres Trainings viele komplexe Informationen aufnehmen und lernen, diese zu priorisieren, um sicherzustellen, dass Sie im Weltraum einen konstant hohen Standard erreichen.
    Zu den allgemeinen Merkmalen gehören unter anderem: gute Denkfähigkeit, Fähigkeit, unter Stress zu arbeiten, Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit, Fähigkeit zur räumlichen Orientierung, psychomotorische Koordination und manuelle Geschicklichkeit. Die Persönlichkeit eines Kandidaten sollte eine hohe Motivation, Flexibilität, Geselligkeit, Empathie, Nichtangriff und emotionale Stabilität aufweisen.
    Astronauten sollten leidenschaftlich daran interessiert sein, ihr Wissen zu teilen, mit der Bereitschaft, ein breites Publikum - insbesondere die jüngere Generation - für ESA und Weltraumforschung zu gewinnen.

U. Walter: Aus aktuellem Anlass (22. April 2021. Eine Zeitung trat auf mich zu.) eine Warnung an alle Bewerber. Wenden Sie sich NICHT an Medien, um über Ihre Bewerbung und Auswahl zu berichten. Sollten Sie von Medien angesprochen werden mit der Bitte, Sie beim Auswahlprozess zu begleiten, tun Sie es nicht. Da die Auswahl für die Öffentlichkeit sehr interessant ist, sind Medien, wenn Sie einen Kandidaten finden, sehr hinter solchen Personen her. So war das schon immer.

    Sie sollten nicht mit Medien zusammenarbeiten, weil das in der Testphase 2 (s.u.) meist zum Ausschluss des Bewerbers führt. Denn wenn ihr Name in der Presse auftaucht und die ESA das erfährt (was sehr wahrscheinlich ist, denn sie verfolgt die Medienwirksamkeit sehr genau), dann vermutet die ESA, dass Sie nicht nur ein übersteigertes Darstellungsbedürfnis haben, sondern auch versuchen, über die Presse den Auswahlprozess für sich positiv zu beeinflussen. Ich kenne solche Ausschlussfälle.

 

Die grundlegenden Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung sind laut ESA:

  • Sie müssen Bürger eines der folgenden ESA-Mitgliedsstaaten oder assoziierten Mitgliedstaaten sein:
    Österreich, Belgien, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Assoziiert: Slowenien und Lettland
  • Master-Abschluss (oder höher) einer anerkannten akademischen Einrichtung in Naturwissenschaften (einschließlich Physik, Geologie, Atmosphäre), oder Ozeanologie, Biowissenschaften, Medizin, Ingenieurwesen, Mathematik, Informatik;
  • Oder ein Abschluss als experimenteller Testpilot und / oder Testingenieur einer offiziellen experimentellen Testpilotenschule. Zu diesen Institutionen gehören EPNER (Frankreich), ETPS (England), USAF TPS (US Air Force) und USNTPS (US Navy), aber auch die kommerzielle Ausbildungsschule NTPS. Mehr dazu findet man in diesem EASA-Dokument.
  • Drei Jahre einschlägige Berufserfahrung nach Abschluss des Studiums und fortschreitender Zunahme der Verantwortlichkeiten.

U. Walter: Eine Promotion zählt auch als Berufserfahrung.

  • Zulässiges Alter: Nicht älter als 50 Jahre.

U. Walter: Mit dieser Vorgabe, wird die ESA der Maßgabe gerecht, dass bei allen ESA-Ausschreibungen zu einer ESA-Position Personen bis zu diesem Alter berücksichtigt werden müssen. Im Hinblick auf die lange Trainingszeit (mindestens 5 Jahre) und einem maximalen Einsatzalter von etwa 55 Jahren werden Bewerber älter als etwa 40 Jahre wohl kaum akzeptiert werden. Das ideale Alter beträgt 30 – 35 Jahre. Da sich die ESA stark an NASA-Auswahlen anlehnt, empfehle ich für weitergehende Informationen diesen Artikel über die NASA-Auswahlen.)

  • Fließend Englisch (Mindest-GER C1). Kenntnisse in zusätzlichen Sprachen (Mindest-GER B1-B2) sind von Vorteil.
  • Starke Motivation und Fähigkeit, mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, häufigen Reisen und langen Abwesenheiten von zu Hause, der Familie und dem normalen sozialen Leben umzugehen.
  • Flexibel in Bezug auf den Arbeitsplatz (innerhalb oder außerhalb Europas)
  • Unter Druck Ruhe bewahren

U. Walter: Gemeint ist hier ein psychischer oder Zeitdruck.

  • Gewillt, an Life-Science-Experimenten teilzunehmen.

U. Walter: Darunter versteht die ESA insbesondere Untersuchungen und Experimente am eigenen Körper.

Weitere konkrete Voraussetzungen:

  • Vorlage einer europäische Part-MED-ärztliche Untersuchung der Klasse 2 (Private Pilot Medical Certificate), die von einem von der nationalen Aviation Medical Authority zertifizierten Flugmediziners durchgeführt wurde. Eine Liste aller deutschen fliegerärztlichen Untersuchungsstellen finden Sie hier.
  • Der Antragsteller muss frei von Krankheiten sein.
  • Der Antragsteller muss frei von Drogen, Alkohol oder Tabak sein.

U. Walter: Das bedeutet nicht, dass man als Astronaut absolut keinen Alkohol oder Tabak konsumieren darf. Im Gegenteil, von einem normalen Astronauten wird erwartet, dass er in geselligen Umfeld (s.o.) durchaus etwas Alkohol trinkt.

  • Der Antragsteller muss in allen Gelenken den normalen Bewegungs- und Funktionsumfang haben. Diese Anforderung gilt nicht für Bewerber um eine Stelle als Astronaut mit körperlichen Behinderungen.
  • Der Antragsteller muss in beiden Augen eine Sehschärfe von 100% (= 20/20 Sehvermögen) aufweisen oder nach Korrektur mit Brille oder Kontaktlinsen.
    Das Tragen von Brillen oder Kontaktlinsen ist an sich kein Grund für eine Disqualifikation, würde jedoch bewertet, wenn bekannt ist, dass ein Sehfehler schnell fortschreitet und ein Grund für eine Disqualifikation sein könnte. Kleinere visuelle Defekte, die Korrekturlinsen erfordern, um eine perfekte Sicht zu erzielen, sind akzeptabel.
    Einige chirurgische Eingriffe zur Korrektur der Sehschärfe können zur Disqualifikation führen, während andere Operationen akzeptabel sind - jeder Fall wird individuell bewertet.

U. Walter: Bisher wurden Sichtkorrekturen mit kleiner oder gleich 2 Dioptrien akzeptiert. Die NASA akzeptiert seit 5 Jahren die beiden refraktiven chirurgischen Eingriffe des Auges PRK und LASIK. Ich gehe davon aus, dass deshalb die ESA diesmal auch beide akzeptieren wird.

  • Antragsteller dürfen nicht schwerhörig sein, d.h. Sie müssen ein Hörvermögen von 25 dB oder besser (besseres Ohr) gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben.
  • Der Antragsteller muss frei von psychischen Störungen sein.
  • Der Antragsteller muss kognitive, mentale und Persönlichkeitsfähigkeiten nachweisen, damit er in einer intellektuell und sozial anspruchsvollen Umgebung effizient arbeiten kann.
  • Physische Fitness. ESA: Es ist wichtig, gesund zu sein, aber die ESA sucht nicht nach extremer Fitness oder Spitzensportlern. Überentwickelte Muskeln können tatsächlich ein Nachteil für Astronauten in der Schwerelosigkeit sein.

U. Walter: Man muss damit rechnen, als Leistungssportler aussortiert zu werden. Zu viele Muskeln sind definitiv nicht gut für einen Astronauten. Ein zu großer Herzmuskel führt im Weltraum zu Herzrhythmusstörungen wegen Herzunterbelastung. Außerdem leiden Laufsportler meist an Orthostatik-Problemen. Letzteres Problem sollte kein Astronaut haben, wenn er aus dem Weltraum wieder zurück zur Erde kommt.

Online Bewerbung, 31.3.2021 – 28.4.2021

  • Auf dieser ESA-Seite gibt es Informationen rund um die Astronautenbewerbung.
  • Dies ist der offizielle ESA-Ausschreibungstext mit Anforderungen zum Astronautenjob. Lesen Sie ihn genau durch, denn Ihre Antworten auf die Fragen, die ihnen bei der Online-Bewerbung gestellt werden, müssen konform mit den beschriebenen Anforderungen sein.
  • Danach werden Sie auf eine andere Seite weitergeleitet, wo Sie zuerst ein eigenes Bewerbungs-Account erstellen müssen.
  • Damit können Sie sich nun online bewerben. Eine vollständige Liste der gestellten Fragen finden Sie hier.

U. Walter: Die Antworten, die Sie hier geben werden später in der 1. Interviewrunde (s.u.) überprüft werden.

Bei der Online-Bewerbung sind folgende Dokumente hochzuladen in den Formaten  DOCX, PDF, Image und Text (MSG, PPT and XLS file types are not accepted for CVs or cover letters)

  • einen Europass-Lebenslauf (in englischer Sprache)
  • ein Motivationsschreiben (auf Englisch)
  • weitere freiwillige Dokumente (etwa Kopie des Reisepasses)

 

Sie müssen die Bewerbung nicht sofort einreichen, sondern können den aktuellen Stand abspeichern und beim nächsten Einloggen in Ihren Account weiter ausfüllen.

ACHTUNG: Einmal eingegebene Daten können bei Folgebesuchen nicht mehr geändert werden! Daher gut überlegen, was man bei ersten Mal angibt! Mein Tipp: Die vollständige Liste der gestellten Fragen genau durchlesen und Antworten in einer eigenen Word-Datei abspeichern und danach eventuell überarbeiten und erst danach die ESA-Online-Fragen per Cut & Paste beantworten.

ACHTUNG: Vorsicht bei der Online-Bewerbung. Alle unvollständigen, verspäteten oder falsch eingereichten Anträge werden ausnahmslos ignoriert.

Hier eine Übersicht über die Bewerberzahle bei der letzten ESA-Auswahl 2008

U. Walter: Auch dieses Mal muss mit etwa 10.000 Bewerbern gerechnet werden.

Vorauswahl (Mai – Juni 2021. Die angegebenen Kandidatenzahlen sind der letzten ESA-Auswahl 2008 entnommen)

  1. Die Antworten der qualifizierten Bewerber werden durch Punkte bewertet.
  2. à Vorselektion auf etwa 1500 Bewerbern
  3. Ein Auswahlgremiums studiert und bewertet nochmals jede Bewerbung dieser 1500 Personen Daraus werden etwa 900 – 1000 Bewerber selektiert

U. Walter: Das Ziel ist, die Zahl anfangs möglichst weit zu reduzieren. Ob dabei ein guter Kandidat mit schlechter Bewerbung durchfällt, ist der ESA verständlicherweise bei der riesigen Anzahl der Bewerber egal.

Testphase 1: Psychologische Belastbarkeitstests (Juli – November 2021)

Auswahl hinsichtlich wissenschaftlicher Kenntnisse und operationeller Leistungs- und Reaktionsfähigkeiten. Insbesondere werden folgende persönliche Merkmale getestet:

  • Englischkenntnisse
  • Physikalisch-technische Kenntnis und Verständnis
  • Mathematisch-logisches Denken
  • Merkfähigkeit (auditiv / visuell)
  • Geschicklichkeitstests
  • Räumliche Orientierung
  • Mehrfachbelastung

U. Walter: Die Betonung liegt auf Belastbarkeit. Dies sind wohl die schwierigsten Tests des ganzen Auswahlverfahrens. Oberstes Prinzip: Nicht aufgeben, sondern durchhalten, egal wie!

Nach dieser Phase bleiben etwa 200 Kandidaten übrig. Daher ist diese Phase das stärkste Sieb der gesamten Auswahl, nur 20% der getesteten Kandidaten kommen durch.

Testphase 2: Praktische und psychometrische Tests (Januar 2021 – April 2022)

Tests auf kognitive, technische, motorische Koordination und Persönlichkeit. Getestete Persönlichkeitsmerkmale:

  • Motivation
  • Festigkeit
  • Mobilität
  • Vitalität
  • Extrovertiertheit
  • Persönliche Ausstrahlung (Wärme)
  • Durchsetzungsvermögen
  • Dominanz
  • Emotionale Stabilität

U. Walter: Einen Fachartikel aus dem Jahre 1992 zu den Tests zur Persönlichkeitsbewertung von Astronautenkandidaten, der nach wie vor so gilt, findet man hier.

Nach dieser Phase bleiben etwa 50 Kandidaten übrig.

Testphase 3: Medizinische Auswahltests (Mai – Juli 2022)

U. Walter Eine Liste aller medizinischer Tests findet man hier.

Nach dieser Phase bleiben etwa 20-25 Kandidaten übrig.

1. Interviewrunde (Juli – September 2022)      

Panel-Interview, das die technischen und Verhaltenskompetenzen testet. Zu diesem Zeitpunkt werden auch die in der Online-Bewerbung angegebenen Bildungsqualifikationen überprüft und eine Überprüfung der Strafregister durchgeführt.

Nach dieser Runde bleiben etwa 15 Kandidaten übrig.

2. Interviewrunde (September 2022)   

Dies ist die letzte Auswahlphase, die in der Regel aus einem Interview mit dem Generaldirektor der ESA besteht. Danach wird die endgültige Entscheidung über die 4-6 neuen Astronauten getroffen.

U. Walter: Bis zur 2. Interviewrunde sind alle Auswahltest geschlechtsunspezifisch. Die Tests sind so ausgelegt, dass beide Geschlechter weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede (Männer sind besser in räumlicher Wahrnehmung, Frauen bei Sprachtests) werden durch Bonus/Malus-Punkte ausgeglichen. Daher nicht abschrecken lassen, wenn man bei solchen Tests schlecht abschneidet.

Erst in dieser 2. Interviewrunde wird die ESA wahrscheinlich versuchen, die Frauenanteil auf ein wie auch immer gewünschtes Maß anzupassen!

Ernennung zum Astronauten und Bekanntgabe in den Medien (Oktober 2022)

U. Walter: Wegen der enorm vielen Anfragen zu dem Thema, bitte ich von persönlichen Fragen an mich abzusehen.