Anwendung eines Indoor-LPS zur Bestimmung und Analyse von Einkaufswagentrajektorien

Autor: Thomas Schäfer
Titel: Anwendung eines Indoor-LPS zur Bestimmung und Analyse von Einkaufswagentrajektorien
Art: Diplomarbeit
Jahr, Nr.: 2003, #380
Betreuer: Prof. Dr.-Ing. habil. Th. A. Wunderlich (TU München, LfG), Andreas Russ (SIMI Reality Motion Systems GmbH)

Aufgabenstellung
Marketingkonzepte großer Einzelhandelsketten suchen nach kundenbezogenen Informationsbasen zur Optimierung der Anordnung des Warenangebots und der Kassenbesetzung. Dazu ist die statistische Auswertung zahlloser, anonymisierter Kundenbewegungen im Verkaufsareal notwendig, in erster Näherung jene der benutzten Einkaufswagen. Es stellt sich also ein besonderes Indoor-Positioning-Problem mit der strikten Nebenbedingung der anonymen Erfassung.

Dem Kandidaten wurde die Aufgabe gestellt, aktuelle Positionierungssysteme für Innenr äume zu finden, zu sichten und auf Eignung für die Aufzeichnung von Kundenbewegungen zu untersuchen. Mit einem vom Kandidaten selbst ausgewählten System sind sodann ausgedehnte Tests vorzunehmen, welche einerseits Aussagen über erreichbare Genauigkeit und Verlässlichkeit erlauben, andererseits die Entwicklung einer Software zur Analyse der Trajektorien ermöglichen lassen soll. Letztere ist vom Diplomanden mit selbst überlegten Auswerte- und Visualisierungsoptionen zu entwickeln.

Insgesamt sollen so anhand eines Prototypen erstmalig die Möglichkeiten für Nutzer aus dem Marketingbereich technisch demonstriert werden.

Problembeschreibung und Zielsetzung
Die Schwierigkeit liegt in erster Linie in der Automatisierung der Datenbeschaffung. Als Ersatz für personalintensiv durchgeführte Stichproben, in denen die Laufwege einzelner, zufällig ausgewählter Kunden erfasst werden, wird ein flexibel einsetzbares Ortungssystem benötigt.

Dieses muss primär in der Lage sein, möglichst viele – am besten alle – Einkaufswagen eines Supermarktes zeitgleich zu orten. Durch die Vielzahl der gewonnenen Daten können statistisch aussagekräftigere Resultate erzielt werden – und nach Amortisierung der Investitionskosten kann ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis der Analysemethode erreicht werden.

Die zweite Bedingung für ein Erfassungssystem ist die Innenraumtauglichkeit. Dies scheint zun ächst trivial, ist aber, wie sich in den kommenden Kapiteln herausstellen wird, durchaus komplex. Denn Vorbild für ein solches Positionierungssystem ist insbesondere das weltweit verfügbare Global Positioning System, das einer unbegrenzten Anzahl von Nutzern erlaubt, ihre Positionen jederzeit genau zu bestimmen. Aber trotz der hoch entwickelten Satellitentechnik ist es bisher noch nicht vollständig gelungen, ein solches System für den lokalen Innenraumbereich zu entwickeln.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Diplomarbeit ist deshalb die Suche nach einem geeigneten Positionierungssystem, das einem zuvor erstellten Anforderungkatalog in möglichst vielen Punkten entspricht.

Das Ziel dieser Diplomarbeit ist, mit einem geeigneten lokalen Positionierungssystem für den Innenraum (Indoor-LPS) innerhalb Versuchsmessungen erste Trajektorien von Einkaufswagen zu erfassen. Auf der Grundlage der gesammelten Daten sollen in einer zu entwickelnden Softwareumgebung Visualisierungs- und Analysemöglichkeiten erarbeitet werden. Die Software soll für Demonstartionszwecke herangezogen werden können und so den Nutzen und die Vorteile einer automatisierten Objektverfolgung von Einkaufswagen in Supermärkten anschaulich verdeutlichen. Zugleich sollen die dabei entwickelten Analyseverfahren eine Grundlage für eine zukünftige Realisierung bilden.

Fazit und Ausblick
In dieser Diplomarbeit hat sich gezeigt, dass zum momentanen Zeitpunkt noch kein Indoor-LPS existiert, das die Aufgabe der Objektverfolgung von Einkaufswagen in Supermärkten vollständig zufriedenstellend übernehmen kann. Gleichzeitig wurde aber deutlich, dass aufgrund der Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten im Bereich Indoor Navigation ein reges Interesse an der Entwicklung eines Indoor-LPS besteht. Dies, und der aktuelle Stand der Technik, lassen darauf schließen, dass in naher Zukunft ein entsprechendes System zur Verfügung stehen wird.

Die besten Chancen müssen dabei dem Karlsruher Unternehmen Cairos Technologies in Zusammenarbeit mit dem in Erlangen ansässigen Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen, sowie den US-amerikanischen Unternehmen Arc Second und Trimble Navigation  ingeräumt werden.

Zur Gewinnung erster Daten, die die Grundlage für Untersuchungen des Analysepotentials bilden, wurde ein Ultraschall-LPS ausgewählt. Abgesehen von der elementaren Möglichkeit, mehrere Ziele zeitgleich zu beobachten, erfüllt das System weitestgehend alle erforderlichen Voraussetzungen. Im Zuge der Systembeschreibung wurde dabei auch auf die Entfernungsmessung mit Ultraschallwellen im Allgemeinen näher eingegangen.

Die Messreihen wurden von Fehlern bereinigt und aufbereitet. Die dabei entstandenen Verfahren (allen voran der Restriktionsfilter) lassen sich auf künftige, aus diskreten Koordinaten bestehende, Messreihen beliebigen Ursprungs anwenden. Auch die Visualisierungs- und Analysemöglichkeiten sind für Messreihen, welche in ein entsprechendes Format zu bringen sind, direkt anwendbar. Für eine professionelle Realisierung der Applikation ist jedoch eine Kompilierung der erstellten Software in eine Programmiersprache wie C++ ratsam.

Neben der Lokalisierung von Einkaufswagen in Supermärkten sind die zukünftigen Anwendungen eines Indoor-LPS im Bereich der Marktforschung vor allem für die Planung von Shopping- Centern zu sehen. Analog zur Anordnung von Warenregalen und Kassen innerhalb eines Geschäftes, kann durch Analyse der Laufwege auch eine optimale Anordnung von Geschäften in einem architektonisch komplexen Einkaufszentrum gefunden werden. Die Strategie bei der Vergabe von Ladenflächen eines Einkaufszentrums ist, weniger attraktive Geschäfte so zu platzieren, dass sie von den Kundenströmen der attraktiven, so genannten Magnetbetrieben, profitieren. Auch hier ist man bisher auf stichprobenartige Kundenbefragungen und -beobachtungen angewiesen. Sozialgeographen der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Würzburg entwickelten speziell für diesen Zweck ein agentenbasiertes Simulationssystem. Dabei werden Kunden in Typenklassen mit unterschiedlichen Verhaltensmustern unterteilt und für eine Datenverdichtung mit Methoden der künstlichen Intelligenz simuliert. Durch eine Visualisierung sollen so die Kopplungsverfelchtungen zwischen einzelnen Geschäften aufgedeckt werden. Zur Verifizierung der dafür verwendeten Modelle können exakte, der Realität entsprechende Daten von großer Bedeutung sein.

Die Zukunft des Supermarktes oder der Einkaufszentren könnte schließlich folgendem Szenario nahe kommen: Um eventuellen Befürchtungen des Kunden in Bezug auf die Beobachtung seines Kaufverhaltens entgegenzuwirken, könnte die Ortungstechnik auch dazu verwendet werden, dem Kunden einen unmittelbaren Mehrwert zu verschaffen. Dies könnte in Form eines persönlichen Navigationssystems inklusive Routenplanung geschehen. Ein am Einkaufswagen befestigter Bildschirm könnte dem Kunden den Weg zur Hygieneartikelabteilung oder zum Friseur beschreiben und, während sich der Kunde auf den Weg dorthin begibt, an entsprechenden Punkten auf Sonderaktionen aufmerksam machen: „Biegen Sie in 15 Metern links ab und nutzen Sie die Gelegenheit, unser heutiges Top-Angebot kennen zu lernen.“

Eine weitere Vision, an der Forscher des Fraunhofer Instituts bereits arbeiten, ist der Einsatz von RFID-Etiketten. Dadurch könnte die Auspreisung der Artikel automatisch aktualisiert werden, aber auch der aktuelle Kaufwert der im Einkaufswagen befindlichen Waren angezeigt werden. An der Kasse müssten die Artikel nicht mehr einzeln von Scannern erfasst werden; der Zahlvorgang könnte so beschleunigt werden und lange Wartezeiten an der Kasse würden der Vergangenheit angehören.

Diese Veränderungen könnten den Einkauf revolutionieren und zu einem neuen Erlebnis machen. Die tatsächliche Entwicklung bleibt aber abzuwarten.