Entwicklung eines applikationsbasierten Monitoringsystemes zur flächenhaften Deformationsmessung an Brückenbauwerken

Autor: Martin Kößler
Titel: Entwicklung eines applikationsbasierten Monitoringsystemes zur flächenhaften Deformationsmessung an Brückenbauwerken
Art: Diplomarbeit
Jahr, Nr.: 2007, #397
Betreuer: Dipl.-Ing. Thomas Schäfer (TU München, LfG)

Aufgabenstellung

Am Lehrstuhl für Geodäsie wurde in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Massivbau (Prof. Zilch) ein hochpräzises Monitoringsystem zur Deformationsdetektion an der Unterseite von Hochbrücken entwickelt. Dabei werden programmgesteuerte Servotachymeter zur rasterartigen, reflektorlosen Abtastung der Betonoberfläche eingesetzt. Dem Kandidaten wurde die Aufgabe gestellt, on-board Applikationen zu konzipieren und umzusetzen, welche einerseits die temperaturbedingten, horizontalen Längenänderungen von Brückenfeldern vor Ort in die Generierung der räumlichen Zielstrahlen einfließen lassen und andererseits eine beliebige Standpunktswahl im Sinne der Freien Stationierung ermöglichen. Die praktische Funktionsfähigkeit war durch ausgedehnte Testreihen nachzuweisen und durch geeignete Fehleranalysen und theoretische Erwägungen zu begleiten.

Kurzfassung

In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Brückenüberwachung aufgrund des alternden Brückenbestandes in der Bundesrepublik Deutschland zugenommen. Zur frühzeitigen Erkennung eines speziellen Schadenfalles an der Hochbrücke Freimann wurde an der Technischen Universität München ein innovatives Monitoringkonzept entwickelt. Das Messverfahren sieht eine flächenhafte Überwachung der Brückenunterseite mit reflektorloser Distanzmessung eines programmierbaren Servotachymeters vor. Die Effizienz dieses Überwachungskonzepts konnte in mittlerweile fünf Epochen in Bezug auf Genauigkeit und Wirtschaftlichkeit unter Beweis gestellt werden.

Im Sommer des Jahres 2007 wird die Hochbrücke Freimann schadens- und altersbedingt unter Aufrechterhaltung des laufenden Verkehrs abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Das entwickelte Messverfahren soll während der Bauphase zur Überwachung möglicher Brückenbewegungen eingesetzt werden. Aufgrund geänderter Anforderungen und Erfahrungen vergangener Messepochen wird das Monitoringkonzept im Rahmen dieser Arbeit weiterentwickelt und optimiert.

Temperaturbedingte Brückenbewegungen werden bisher in einem post processing Verfahren berücksichtigt. Die Weiterentwicklung erkennt diese in Echtzeit vor Ort und ermöglicht durch Anpassung der Raumvektoren eine Messung der nicht signalisierten identischen Objektpunkte in allen Folgeepochen. Außerdem wird das Messsystem dahingehend erweitert, dass die Erfassung der Objektpunkte von frei gewählten Standpunkten aus möglich wird, um nicht wie bisher an vorgegebene Festpunkte gebunden zu sein. Aufgrund der positiven Erfahrungen der reflektorlosen Überwachung von Deformationen an der Hochbrücke Freimann könnte das Messsystem auch an anderen ähnlichen Brückenbauwerken eingesetzt werden.

Zusammenfassung und Ausblick

An der Hochbrücke Freimann wurde im Zuge einer visuellen Kontrolle ein Schaden an der tragenden Konstruktion festgestellt. Durch die rechtzeitige Erkennung dieses Schadens konnte der Bereich saniert und die Tragfähigkeit der Brücke gesichert werden. Um das Auftreten weiterer Schadensfälle in der Zukunft frühzeitig erkennen zu können, wurde eine regelmäßige geodätische Überwachung vorgesehen. Derartige Schäden zeigen sich an der Brückenunterseite durch geringe lokale Absenkungen der Deckenkonstruktion in einer Größenordnung von lediglich zwei bis vier Millimeter. Für die anspruchsvolle flächenhafte Überwachungsaufgabe mit höchsten Genauigkeitsanforderungen wurde an der Technischen Universität München ein Monitoringkonzept entwickelt.

Das Monitoringkonzept Freimann sieht ein reflektorloses Abscannen der Brückenunterseite mit zwei programmierbaren Servotachymetern in einem regelmäßigen Raster von zwei mal zwei Metern vor. Durch die Verwendung eines Tachymeters sind Messungen im höchsten Genauigkeitsbereich möglich und mit Hilfe einer Tachymetersteuerung kann die Erfassung der zahlreichen Objektpunkte gut automatisiert werden. Bis zum Zeitpunkt dieser Arbeit konnten bereits fünf Messepochen erfolgreich durchgeführt und die Effizienz des Monitoringkonzepts unter Beweis gestellt werden.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde das bestehende Monitoringkonzept weiterentwickelt und aufgrund von Erfahrungen der vergangen Epochen optimiert. Das derzeitige Messsystem verwendet für die Erfassung der Objektpunkte in jeder Epoche die selben Raumvektoren. Aufgrund von temperaturbedingter Brückenbewegungen können dadurch nicht identische Punkte in den Folgeepochen gemessen werden. Um diesem Umstand gerecht zu werden, müssen die Brückenbewegungen in einem post processing Verfahren berücksichtigt werden. Durch das weiterentwickelte Monitoringkonzept werden die Brückenbewegungen automatisch vor Ort erfasst, und diese durch Anpassung der Raumvektoren in Echtzeit berücksichtigt. Dadurch wird sichergestellt dass in jeder Epoche die identischen Objektpunkte angemessen werden.

Eine zweite Weiterentwicklung des Monitoringkonzepts sieht eine freie Wahl des Instrumentenstandpunktes vor. Bisher war man für die Erfassung der Objektpunkte an vorgegebene Standpunkte gebunden, welche vorab durch eine Netzmessung hochgenau bestimmt wurden. Das modifizierte Messsystem ist im Stande nach einer beliebigen Wahl eines Standpunkt die Koordinaten im Zuge einer Freien Stationierung selbst zu bestimmen und die Erfassung aller Objektpunkte vom unbekannten Standpunkt aus durchzuführen.

Nach erfolgreicher Umsetzung der beiden Weiterentwicklungen im Zuge dieser Arbeit steht ein benutzerfreundliches und robust laufendes Messsystem zur Verfügung. Die Tachymeterprogrammierung erfolgte in der Entwicklungsumgebung Geo-Basic und die daraus entstandene Applikation kann ohne zusätzliche Rechnereinheit am Tachymeter verwendet werden. Die eigens für das modifizierte Monitoringkonzept entwickelte Auswertung mit dem Programmpaket Matlab garantiert einen reibungslosen Datenfluss und bietet die Möglichkeit einer weitestgehenden automatisierten Weiterverarbeitung und Visualisierung der Messdaten.

Zum Abschluss dieser Arbeit wird das weiterentwickelte Messsystem im Zuge von Testmessungen erprobt und die einzelnen Module des Programms ausführlich untersucht. Es werden zahlreiche Versuchsreihen im Messkeller an der Technischen Universität München und zwei Testserien unter realistischen Messbedingungen an der Hochbrücke Freimann durchgeführt. Dabei konnte die korrekte Erfassung der Brückenbewegungen vor Ort nachgewiesen werden. Beim Versuch einer Variation des Standpunktes für die Erfassung der Objektpunkte ergaben sich jedoch in den Ergebnissen größere Messungenauigkeiten. Mögliche Fehlerquellen in einer unzureichenden Instrumentenkalibrierung konnte widerlegt werden. In den Messdaten zeigten sich systematische Abhängigkeiten der reflektorlosen Distanzmessung vom Auftreffwinkel des Laserstrahl. Da die Objektpunkte bei der bisherigen Erfassung der Epochen stets vom selben Standpunkt aus bzw. unter selbem Auftreffwinkel beobachtet wurden, stellte dieser Fehlereinfluss kein Problem dar. Zukünftig wird ein Kalibrierverfahren dafür sorgen, dass der Einfluss des Auftreffwinkels bei der reflektorlosen Distanzmessung bestimmt und an die gewonnenen Messdaten angebracht werden kann. Dadurch wird es möglich werden, die Erfassung der Objektpunkte von beliebigen Standpunkten aus mit lediglich leicht verringerter Genauigkeit aufgrund der Standpunktbestimmung vor Ort durchzuführen. Die Ergebnisse dieser Arbeit präsentieren ein praxistaugliches Messsystem, welches auch an anderen ähnlichen Brückenbauwerken zur Überwachung von Deformationen eingesetzt werden kann.

Die Hochbrücke Freimann wird im Sommer 2007 schadens- und altersbedingt abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Die Verkehrsführung soll bei diesem schrittweisen Rück- und Neubau beibehalten werden, sodass eine ständige Brückenüberwachung während der Arbeiten notwendig wird. Das weiterentwickelte Monitoringkonzept wird dabei zur flächenhaften Überwachung unerwarteter Brückenbewegungen eingesetzt werden. Zusätzlich werden weitere Überwachungen des Brückenbauwerks während der Bauarbeiten notwendig, welche im Zuge einer fortführenden Diplomarbeit von Dominik Kraft entwickelt und durchgeführt werden.